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WirtschaftsWoche: So steuern wir Computer künftig; nur mit Blicken

Schau mir in die Augen, Rechner!

Bislang war die Blicksteuerung von Computern nur etwas für Menschen mit Behinderung oder für Gamer. Bald wird sie Alltag sein.

 

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Originalbeitrag aus der WirtschaftsWoche, Ausgabe 7-2021

Stephan Odörfer lehnt sich in seinem Schreibtischstuhl zurück, verschränkt die Arme vor der Brust und blickt auf den Computerbildschirm vor sich. So still er da sitzt, so viel Leben kommt plötzlich auf den Monitor vor ihm: In Windeseile jagt die Maus über Programme und E-Mails. Dokumente und Browserfenster öffnen und schließen sich. Wie von Geisterhand füllen sich Datenfelder, folgt Klick auf Klick. Alles ohne sichtbares Zutun des 44-Jährigen, trotzdem hat er den Rechner voll im Griff: Odörfer steuert ihn mit seinen Augen.

Die Technologie, Pupillenbewegungen in Mausbewegungen und Klicks zu übersetzen und damit Bürosoftware für Firmen zu steuern, haben Odörfer und sein Mitgründer Tore Meyer in ihrem Münchner Start-up 4tiitoo entwickelt. Nuia - Natural User InterAction - heißt die Plattform, an der die einstigen Schulfreunde und heutigen Unternehmer mit ihrem 16 Köpfe starken Team arbeiten und die es ermöglicht, Computer nun auch am Schreibtisch oder in der Industriehalle per Auge zu bedienen. Möglich machen das Infrarotsensoren, die kleinste Änderungen der Mimik erfassen - etwa Augenbewegungen oder auch Muskelzuckungen. Der britische Physiker Stephen Hawking, von der Muskelkrankheit ALS weitgehend gelähmt, nutzte die Technologie über Jahre zur Kommunikation. Die Sensoren erfassten minimale Wangenbewegungen, über die Hawking seinen Text- und Sprachcomputer bediente.

Wach und aufmerksam
Doch die Technologie blieb lange eine Spezialanwendung. Neben Menschen mit Körperbehinderung wie Hawking nutzten sie unter anderem auch Werbeforscher, um das Leseverhalten von Probanden zu analysieren. Und Anbieter wie Ergoneers aus München, Pupil Labs aus Berlin, imotions aus Kopenhagen oder Mirametrix aus Montreal liefern sogenannte Eyetracking-Systeme für die Ergonomieforschung oder um in Autos oder Flugzeugen zu überwachen, dass Fahrerinnen oder Piloten bei der Sache bleiben.

Nun aber verlässt die Blicksteuerung die Nische. Wichtigster Treiber dafür war die Computerspieleszene. Hersteller wie der schwedische Spezialanbieter Tobii haben preiswerte, kompakte Sensoren entwickelt, die sich an jeden Computer anschließen lassen. Vor allem PC-Spieler nutzen die Eyetracker bereits millionenfach, um per Augenbewegung zu steuern, wohin sich der Fokus des Spiels und die Blickrichtung der Charaktere verschiebt. Bei Computerspielen werde es nicht bleiben, sagt Tim Bosenick, Geschäftsführer der auf die Benutzerfreundlichkeit von Produkten spezialisierten Unternehmensberatung Uintent. 'Blicksteuerung erlaubt eine schnellere, natürlichere Interaktion von Mensch und Maschine. Die Technik ist reif für den Massenmarkt.'

Auch 4tiitoo-Gründer Odörfer ist überzeugt, dass die Blicksteuerung den 'digitalen Anachronismus Computermaus' bald weitgehend überflüssig macht. 'Bei der Software', betont er, 'sind wir, etwa durch den Einsatz künstlicher Intelligenz, längst im 21. Jahrhundert angekommen.' Bei der Hardware hingegen herrsche Stillstand: 'Bis heute klicken wir uns mit einer Technologie aus den Achtzigerjahren über die Bildschirme.' Einschließlich aller Nachteile vom Mausarm bis zur Ablenkung vom Arbeitsfluss, wenn Bürobeschäftigte ständig zwischen Tastatur und Maus umgreifen. 'Per Blicksteuerung geht das viel effizienter', verspricht Odörfer. Das bestätigt auch SAP-Manager Christian Freytag. 'Die Augensteuerung hat uns echt begeistert', sagt der Innovations- und Technologiespezialist in der IT-Sparte des Softwarekonzerns. Er war 2018 auf das Start-up gestoßen. Heute können SAP-Kunden NUIA als Erweiterung für die Geschäftssoftware bestellen.

Bis zu 15.000 Klicks gespart
SAP nutzt die Blicksteuerung auch selbst. Im Kundendienst etwa bedienen Mitarbeiter damit Officeprogramme und Web-Anwendungen. Je nach Tätigkeit lassen sich so zwischen 5.000 und 15.000 Mausklicks pro Arbeitstag einsparen, vier bis zwölf Prozent der Arbeitszeit produktiver nutzen als durch Mausbewegungen, ergaben Tests. Anwendern genügt ein kurzes Training, um die Technik verwenden zu können. Je nach Einstellung setzt Software den Mauszeiger dann auf Eingabefelder oder aktiviert sie direkt. Verharrt das Auge, öffnen sich weitere Optionen oder der Nutzer bestätigt die Eingabe mit einem Blick aufs OK-Feld. Daneben lernt NUIA aber auch, regelmäßige Arbeitsabläufe zu erkennen.

Rund zwei Dutzend Unternehmen nutzen die Technik bereits oder erproben ihren Einsatz in der Produktentwicklung. Dazu zählen etwa der Autobauer Daimler, Banken und Versicherungen, aber auch Mittelständler, etwa der Paderborner Automobilzulieferer Benteler.

Beim Einsatz am Schreibtisch soll es nicht bleiben. Der Technologiekonzern Siemens hat bereits getestet, ob und wie sich die Blicksteuerung in der Industrie nutzen lässt. Und erste Kunden aus der Automobilbranche haben die 4tiitoo-Plattform bereits an Maschinenarbeitsplätzen im Einsatz. Dort können Beschäftigte nun auch Qualitätskontrollen per Augensteuerung erfassen, statt sie noch mit der Hand eingeben zu müssen.

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